eins und eins sind eins

Les Schliesser, Daniela Brahm – »eins und eins sind eins«, Installationsansicht

Mit Daniela Brahm
Zwei Audio-Dateien 26 min. und 56 min. Präsentation variabel
In: HLYSNAN: The Notion and Politics of Listening, 2014
Casino Luxembourg, LUX, Gruppenausstellung
Kuratoren: Berit Fischer, Kevin Muhlen

Die Audioarbeit eins und eins sind eins der Künstler Daniela Brahm und Les Schliesser reflektiert auf abstrakter Ebene den komplexen Prozess eines real gewordenen Möglichkeits(Utopie)raums. Sie besteht aus den beiden Vertragstexten, die das rechtliche Fundament von ExRotaprint bilden, ein Industriegelände, für das die beiden Künstler eine modellhafte, am Gemeinwohl orientierte Immobilienentwicklung durchgesetzt haben und das heute von Ihnen betrieben wird.

Für die Audio-Arbeit eins und eins sind eins haben die Künstler die Notarin gebeten, den Gesellschaftervertrag der gemeinnützigen GmbH ExRotaprint und den Erbbaurechtsvertrag vorzulesen. In den Verträgen sind Zielsetzungen und Rahmenbedingungen, Umfang und Größen, Pflichten und Rechte benannt. Rechtsgültigkeit erlangen notarielle Verträge nur, wenn sie laut verlesen werden. Damit ist Hören dem Lesen gleichgesetzt, das Wissen um den Inhalt der Texte wird verbindlich für die beteiligten Parteien und kann nicht in Abrede gestellt werden. Wie bei anderen formalisierten Vorgängen – auch in der Kunst – erlangt hier das Lautvorlesen einen abstrakten Grad bei dem dem Kontext Genüge getan wird. Ob so Gewissheit und Transparenz entsteht, stellt die Art des Vortrags selbst in Frage. Trotz der genauen juristischen Formulierungen wird die Vielschichtigkeit und Komplexität des Projekts durch den autistischen Singsang der Notarin beim Verlesen der Texte undeutlich und verschwimmen in einem Ambient, der den Zuhörer einhüllt und ruhigstellt. Die geforderte Form bewegt sich ins Absurde. Überprüfbar wird das Projekt nur in der Realität, vor Ort.

Hintergrund
ExRotaprint ist das ehemalige Produktionsgelände der Druckmaschinenfabrik Rotaprint in dem Berliner Stadtteil Wedding. Nach dem Konkurs von Rotaprint im Jahr 1989 verwahrloste das 10.000 qm große Gelände in der Warteschleife der Verwertung.
Die Künstler Daniela Brahm und Les Schliesser formulierten 2004 ein Konzept zur Übernahme des Geländes durch die Mieter vor Ort. Ziel war eine Entwicklung des Standorts für eine heterogene Nutzung aus Arbeit, Kunst, Sozialem. Nach aufreibenden Verhandlungen mit Senat und Liegenschaftfonds hat die von Mietern gegründete ExRotaprint gGmbH das Gelände im Jahr 2007 übernommen. ExRotaprint vermietet heute zu je einem Drittel Flächen an Arbeit, Kunst, Soziales. Heute arbeiten dort Gewerbebetriebe, soziale Einrichtungen und Kreative. Es entsteht ein gesamtgesellschaftliches Bild, das sich gegen die Monokulturen aufgesetzter Renditeträume wendet und stattdessen das Miteinander und den Austausch fördert. Realität wird vor Ort mit kunstverwandten Strategien sozial, wirtschaftlich und kulturell gestaltet. ExRotaprint als soziale Plastik bedeutet eine Dehnung des Kunstbegriffs, der nicht als Abbild oder Zitat, sondern als gestaltete Wirklichkeit Form findet und Kunst sein kann, aber nicht muss.


Die rechtliche Struktur von ExRotaprint bilden zwei Verträge, die sich in ihren Zielen verschränken und gegenseitig ergänzen. Die Verträge sichern langfristig die Gemeinnützigkeit der Projektentwicklung und das Nutzungskonzept ab, und schließen Immobilienspekulation an diesem Standort aus. Sie bilden den Rahmen, innerhalb dessen die soziale Plastik ExRotaprint gestaltet werden kann und setzen gleichzeitig die Grenzen gegen eine grundsätzliche Umorientierung des Projektes.


Der 99-jährige Erbbaurechtsvertrag mit den Stiftungen trias und Edith-Maryon wurde am 3. September 2007 unterzeichnet. ExRotaprint hat sich gegen den Kauf des Geländes mit einem Bankkredit und für das Erbbaurecht mit den Stiftungen entschieden, um den Weiterverkauf des Geländes unmöglich zu machen. Beide Stiftungen arbeiten an einem neuen Umgang mit Grund und Boden und sind daher ideale Partner für eine Projektentwicklung, die nicht am Profit orientiert ist. Über das Erbbaurecht ist die ExRotaprint gGmbH in einer eigentumsgleichen Position und verantwortet die Entwicklung und Finanzierung des Projektes in allen Aspekten. Einzig der Verkauf des Grundstücks ist ausgeschlossen. Das Instrument des Erbbaurechts trennt Boden und Gebäude, der Boden bleibt Eigentum der Stiftungen, die Gebäude sind in Besitz der ExRotaprint gGmbH.


Der gemeinnützige Gesellschaftervertrag der ExRotaprint gGmbH wurde am 17. Juli 2007 geschlossen. Von Mietern gegründet hat sich die ExRotaprint gGmbH dem Erhalt des eingetragenen Baudenkmals, dem Denkmalschutz und der Förderung von Kunst und Kultur verpflichtet und ist als gemeinnützig anerkannt. Der Überschuss aus der Vermietung muss in die gemeinnützigen Ziele investiert werden. Die Gesellschafter der ExRotaprint gGmbH profitieren nicht von den Einnahmen des Geländes. Mit der Gemeinnützigkeit wird der Abfluss von Kapital verhindert und dessen Verwendung für die inhaltlichen Ziele der Projektentwicklung gesichert.


Die gemeinnützige GmbH unterbricht so die Spekulationsspirale des Immobilienmarktes und ist mittels Erbbaurecht Besitzer der Gebäude. ExRotaprint setzt eine besondere Form von Eigentum und Selbstorganisation in einem prekären Umfeld um, die rechtliche Konstruktion löst Partikularinteressen im Sinne des Gesamten auf und bindet den Gewinn an das Gelände und seine Ziele.

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